Die wichtigsten Fragen auf einen Blick

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Das Recht auf Assistenz bei Spinaler Muskelatrophie

Wer als Mensch mit einer Behinderung oder als Angehöriger sein Recht auf Assistenz geltend machen will, steht häufig vielen komplizierten Fragen gegenüber. Gut, dass es Menschen wie Anna Mehlmann gibt. Rechtsanwältin Frau Mehlmann hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen mit Behinderung im Bereich des Pflegerechts zu beraten und zu vertreten. Im Interview gibt sie Antworten auf die dringendsten Fragen rund um das Thema Assistenz.

 

Darum die Kanzlei "Special Needs"

Frau Mehlmann, Sie haben eine Kanzlei gegründet, die den Namen „Kanzlei Special Needs“ trägt und nehmen sich Menschen mit besonderen Bedürfnissen und deren Angehörigen an. Woher kommt diese Motivation und was macht Ihre Arbeit so besonders?

Ich habe die Kanzlei Anfang 2022 gegründet aus der Idee heraus, eine hochspezialisierte Anwaltskanzlei zu etablieren, die im Bereich Pflegerecht und Recht der Menschen mit Behinderungen berät und vertritt. Als Mutter zweier Töchter mit komplexen Behinderungen ist mir schon früh aufgefallen, dass es viel zu wenige Juristinnen und Juristen gibt, die sich mit diesen Themen gut auskennen und Betroffene konstruktiv unterstützen können und wollen. Vor meiner Elternzeit habe ich in einer Wirtschaftskanzlei und dort mit nationalen und internationalen Unternehmen gearbeitet. Während meiner Elternzeit fiel der Entschluss, mich in dem Bereich Pflegerecht und Recht der Menschen mit Behinderungen selbstständig zu machen, eben weil die Betroffenen besondere Aufmerksamkeit verdienen und leider viel zu wenig „Lobby“ haben. 

Viele Anwaltskanzleien sind nach Ihren Namensgebern und Partnern benannt. Für mich persönlich hat ein Firmenname wie „Rechtsanwaltskanzlei Mehlmann“ oder ähnlich nicht gepasst. Als moderne Rechtsanwältin stelle ich meine Mandantinnen und Mandanten und deren Anliegen und Bedürfnisse in den Vordergrund. Alle meine Mandanten haben entweder selbst „special needs“ oder pflegen Personen, die „special needs“ haben. Und diese besonderen Bedürfnisse möchte ich besonders berücksichtigen. So gehören zu meiner Mandantschaft Menschen, die medizinisch bedingt nicht sprechen können. Diese Menschen berate ich auf Wunsch natürlich vollständig schriftlich. Ein weiterer großer Teil meiner Arbeit besteht in der Kooperation und Beratung von Vereinen und Institutionen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, chronisch erkrankte Menschen und Menschen mit Behinderungen zu unterstützen. 

Durch meine eigenen Erfahrungen als pflegende Mutter habe ich eine besondere Motivation, Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen sowie deren Angehörige zu unterstützen. Besonders wertvoll ist für mich die Erfahrung, dass meine Arbeit regelmäßig konkret helfen kann. Dabei erfahre ich eine große Dankbarkeit von den Betroffenen und deren Angehörigen und das erfüllt mich sehr. 

Ich freue mich sehr im Rahmen dieses Interviews die Möglichkeit zu haben, über meine Arbeit zu berichten und über das Thema Assistenz informieren zu können. Aufklärungs- und Informationsarbeit ist ein wichtiger Bestandteil dessen, was ich mir mit meiner Kanzlei zum Ziel gesetzt habe.

Wer hat einen Anspruch auf Assistenz?

Assistentinnen und Assistenten sind wichtig für Betroffene, da sie ein weitgehend eigenständiges Leben ermöglichen. Würden Sie sagen, dass jeder eine Assistenz beantragen kann und ist sie wirklich für alle geeignet? Wer hat einen Anspruch darauf? Und: spielt der Pflegegrad dabei eine Rolle?

Menschen, die im Assistenzbereich arbeiten, haben eine sehr wichtige und anspruchsvolle Aufgabe. Sie können Betroffene dabei unterstützen, ein in weiten Teilen eigenständiges Leben zu führen. Das Konzept kann gut aufgehen für die Beteiligten.

Im Grundsatz kann jeder Mensch mit Behinderung Assistenzleistungen beantragen, der leistungsberechtigt ist. Nach § 2 Abs.1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen „Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft (…) hindern“. Nach § 2 Abs.1 SGB IX muss die Hinderung an der gleichberechtigten Teilhabe in der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate bestehen. Bei Menschen mit SMA ist diese zeitliche Voraussetzung fast immer der Fall und stellt insofern kein Problem dar. 

Bei der Antragstellung kann man sich Unterstützung holen. Es gibt verschiedene Vereine und Institutionen, die in diesem Bereich beraten und gegebenenfalls auch beim Ausfüllen der Anträge unterstützen. Das sind zum Beispiel die Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatungen vor Ort, deren Arbeit in § 32 SGB IX geregelt ist. Man kann natürlich auch schon bei Antragstellung juristische Hilfe in Anspruch nehmen.  

Ob die Assistenz für den betroffenen Menschen individuell geeignet ist, ist eine sehr persönliche Frage, die jeder für sich entscheiden muss. Ich bin fest davon überzeugt, dass Assistenzleistungen vielen Menschen zu mehr Selbstständigkeit und einem in weiten Teilen selbstbestimmteren Leben verhelfen können. Insbesondere ist es eine klare Weiterentwicklung von der „passiven Versorgung“ hin zur „aktiven Unterstützung“. Das kann sehr interessant sein für Menschen, die zum Beispiel gerne aktiv und unterwegs sind. Hierbei möchte ich auch darauf hinweisen, dass es auch unterschiedlich zeitintensive Formen der Assistenz gibt. Es gibt die Möglichkeit, sich stundenweise Unterstützung zu holen – zum Beispiel für die Teilnahme an einer Sportveranstaltung – man kann aber auch eine Rund-um-die-Uhr-Assistenz beantragen, wenn man z.B. alleine wohnen möchte, aber Unterstützung bei der Gestaltung des Alltags und im täglichen Leben (z.B. bei der Pflege und im Haushalt) braucht. 

Gut geeignet kann die Assistenz auch sein für Eltern mit Behinderung. Sie werden nach § 78 Abs.3 SGB IX bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder unterstützt. 

Der Pflegegrad entscheidet nicht darüber, ob man einen Anspruch auf Assistenzleistungen hat. Die Pflegekasse kann aber einer der Träger sein, der die Assistenzleistungen bewilligt und (mit-)finanziert.

Kurzportrait
Portraitfoto

Anna Mehlmann ist Gründerin der Kanzlei "Special Needs". Auf ihrer Website kannst Du mehr über sie und ihre Arbeit erfahren.

Auf ihrem Instagramkanal @kanzleispecialneeds erklärt sie juristische Fachbegriffe und berichtet über Aktuelles.

Die Antragstellung für eine Assistenz bei Menschen mit SMA

Was muss bei der Antragstellung auf eine Assistenzleistung grundsätzlich beachtet werden? Und: was ist zu tun, wenn der Antrag abgelehnt wird? Gibt es Besonderheiten bei Menschen mit einer chronischen Erkrankung und gibt es etwas, was Sie im Speziellen Menschen und Angehörigen mit SMA raten würden?  

Möchte man einen Antrag auf Assistenzleistungen stellen, macht es Sinn, beim zuständigen Träger anzufragen, welche Unterlagen konkret benötigt werden. Bei der Antragstellung braucht man keine Sorge zu haben, falls man sich nicht sicher ist, welcher Kostenträger zuständig ist. Nach § 14 SGB IX muss der Antrag von der angeschriebenen Stelle an die zuständige Stelle weitergeleitet werden, wenn die angeschriebene Stelle selbst nicht zuständig ist. 

Wenn der Antrag abgelehnt wird, sollte man sicherheitshalber anwaltliche Hilfe hinzuziehen. Der Anwalt oder die Anwältin wird den Antrag und den ablehnenden Bescheid prüfen und – bei Erfolgsaussichten – einen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung einlegen. Viele sorgen sich vor vermeintlich hohen Kosten einer anwaltlichen Beratung. Hier lohnt es sich, in einer Kanzlei anzurufen, um zu erfragen, welche Kosten wirklich auf einen zukommen. Ist man rechtsschutzversichert, können die Kosten oft von der Versicherung übernommen werden.  

Für Menschen mit chronischen Erkrankungen finde ich es besonders wichtig zu wissen, dass es über die Assistenzleistungen auch Leistungen zur Erreichbarkeit – unabhängig von der Inanspruchnahme – gibt. Hierbei kann man eine Rufbereitschaft einrichten lassen. Bei Kontaktierung der Rufbereitschaft kann man dann Hilfe erhalten, wenn man sie braucht. Das kann einem ein Stück weit Freiheit und Sicherheit geben, weil man im Notfall auf Unterstützung zurückgreifen kann. 

Ganz neu ist die Regelung, dass man ab 1. November 2022 als Mensch mit Behinderung nach § 113 SGB IX auch einen Anspruch auf Begleitung durch eine vertraute mitarbeitende Person eines Leistungserbringers der Eingliederungshilfe hat, wenn man ins Krankenhaus muss. 

Menschen mit SMA und deren Angehörigen rate ich, sich gut zu dem Thema Assistenz zu informieren und zu überlegen, ob es für sie in Frage kommt. Es hat sehr viele Vorteile – und wenn alle bürokratischen Fragen geregelt sind, hat man mehr Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten als vorher. Ich bin nicht von SMA betroffen und kann daher auch nicht für Erkrankte sprechen, aber ich berate und vertrete in meiner Kanzlei auch Menschen mit SMA und habe den Eindruck, dass Assistenz dort viel Unterstützung bieten kann. 

Der finanzielle Part: Vergütung der Assistenzleistung

Wie läuft die Vergütung der Assistenzleistung ab? Wer trägt die Kosten und gibt es eine Eigenbeteiligung?

Es gibt unterschiedliche Kostenträger für die Assistenzleistungen. Je nach Konstellation können Pflegeversicherung, Krankenkasse, Versorgungsämter, das Jugendamt, die Rentenversicherung, die Unfallversicherung und die Eingliederungshilfe bezüglich der Kosten herangezogen werden. Für die Frage, welche Kostenträger im Einzelfall zuständig sind, kommt es auf die Art der Behinderung und deren Ursache sowie die Art der benötigten Hilfe an. 

Es gibt die Möglichkeit, vom Kostenträger die Assistenzleistungen als Sachleistungen zu erhalten, die von einem Anbieter erfüllt werden. Dann wird z.B. ein Pflegedienst beauftragt, die unterstützenden Leistungen durchzuführen. 

Daneben gibt es die Option ein sog. Persönliches Budget zu beantragen. In dieser Variante verwaltet man selbst die Leistungen und erhält entweder Geld, mit dem man sich die Leistungen „einkauft“ oder Gutscheine, die man einlösen kann. Hierbei gibt es das sog. Dienstleistungsmodell, bei dem einzelne Dienstleistungen von Anbietern „eingekauft“ werden. Man kann das Persönliche Budget auch im Arbeitgebermodell beantragen. Beim Persönlichen Budget im Arbeitgebermodell ist der Mensch mit Behinderung selbst Arbeitgeber der Assistent:innen. Man kann dann persönlich die Bewerbungsgespräche führen und sich Menschen suchen, die zu einem passen. Entweder kümmert man sich selbst um die anfallende Bürokratie (Arbeitszeiten, Urlaubsplanung, Lohn etc.) oder man übergibt diese Aufgabe an ein Unternehmen, das auf Basis von § 29 Abs.2 S.6 SGB IX die entsprechenden Arbeiten übernimmt. Die Kosten für den Verwaltungsaufwand des Unternehmens können aus dem Persönlichen Budget finanziert werden.

Auf welche Assistenzleistungen können Betroffene zurückgreifen?

Welche unterschiedlichen Möglichkeiten gibt es bei den Leistungen? Wonach richten sich die bewilligten Assistenzleistungen? Was passiert oder was muss man tun, wenn man von einer Assistenzleistung zurücktreten möchte bzw. was passiert, wenn der Kostenträger Assistenzleistung kündigt?

Zum Glück gibt es – je nach Bedarf des Leistungsberechtigten – verschiedene Möglichkeiten. So kann jeder bekommen, was er benötigt und was er möchte. 

Zunächst einmal unterscheidet das Gesetz zwischen zwei Formen der Assistenz. Man kann entweder qualifizierte Assistenz erhalten, die die Person mit Behinderung anleitet, Tätigkeiten zu lernen und selbst zu übernehmen. Das sind meistens (heil-)pädagogisch ausgebildete Personen oder Sozialarbeiter:innen. Daneben gibt es die unterstützende Assistenz, die Tätigkeiten für den Menschen mit Behinderung übernimmt, die diese selbst nicht erledigen können. 

Die bewilligten Assistenzleistungen richten sich nach dem Bedarf des Leistungsberechtigten. Es gibt die Möglichkeit Assistenzleistungen für die Schule oder am Arbeitsplatz zu erhalten. Was viele leider nicht wissen, obwohl es wichtig ist, ist, dass man bereits für die Arbeitssuche oder die Bewerbungsphase eine Assistenz beantragen kann. Außerdem gibt es auch die Möglichkeit, Unterstützung im Haushalt und bei der Pflege über Assistenzleistungen zu erhalten. Einen sehr großen Bereich im Rahmen der Assistenzleistungen bilden außerdem die Freizeitgestaltung und die gesellschaftliche Teilhabe. So können Assistent:innen die Menschen auch zu Konzerten, ins Theater oder ins Kino begleiten, damit sie selbstbestimmt über ihre Freizeitaktivitäten bestimmen und diese wahrnehmen können. Auch medizinische Behandlungspflege als Krankenkassenleistung nach dem SGB V kann Teil der Leistungen sein, zum Beispiel wenn jemand maschinell beatmet ist. 

Möchte man eine bewilligte Assistenzleistung dauerhaft nicht mehr in Anspruch nehmen, muss man sich beim bewilligenden Träger melden und dies mitteilen. Dasselbe gilt, wenn die Voraussetzungen unter denen ich die Assistenzleistungen beantragt habe, weggefallen sind. Wobei man hier eher von Ausnahmefällen ausgehen kann. Hat man das persönliche Budget als Modell gewählt, sollte man beachten, dass man mindestens sechs Monate hieran gebunden ist (§ 29 Abs.1 S.6 SGB IX). 

Wenn die ursprünglich bewilligende Behörde die Assistenzleistungen nicht mehr bewilligt oder zurücknimmt, sollte man sich in jedem Fall – gegebenenfalls mit anwaltlicher Hilfe – dagegen wehren, wenn man damit nicht einverstanden ist. 

Was passiert, wenn es nicht passt?

Eine Assistenz ist eine sehr persönliche Leistung, denn der Kontakt ist sehr eng. Was kann man tun, wenn man merkt, dass es mit der Assistenz nicht „passt“ oder man sich nicht wohl fühlt? Muss der Prozess neu durchlaufen werden?

Wurden die Assistenzleistungen im Persönlichen Budget im Arbeitgebermodell bewilligt, stellt man selber die Personen ein, die einem assistieren. Man kann sich also im Rahmen des Vorstellungsgesprächs und der Einarbeitung bereits einen Eindruck machen. Wenn man doch später feststellt, dass es mit der Person / den Personen nicht passt, kann man, wie jeder Arbeitgeber, kündigen. In dem Fall muss nicht das gesamte Antragsverfahren wiederholt werden, sondern man kann erneut Bewerbungsgespräche mit neuen Bewerber:innen führen. 

Erhält man die Assistenzleistungen als Sachleistungen (Dienstleistungsmodell), sollte man mit dem Dienstleister besprechen, dass man sich nicht wohl fühlt und für Ersatz gesorgt werden soll. 

Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass es „passt“, eben weil es eine sehr persönliche Angelegenheit ist und man sehr eng miteinander ist. 

Abschließend möchte ich gerne sagen, dass der Bereich Assistenz im Alltag von Menschen mit Behinderungen große Entlastung und Unterstützung bieten kann und es deswegen sehr wichtig ist, dass hierüber auch informiert wird. Man sollte sich nicht scheuen, Fragen zu stellen und Informationen einzuholen. 

 

Vielen Dank für das Interview!