Die wichtigsten Fragen auf einen Blick

Zeugungsfähigkeit und SMA – geht das?

Die SMA ist eine Multiorgan-Erkrankung. Das bedeutet, dass sie nicht nur die Motoneuronen und Muskeln betrifft, sondern auch andere Gewebe und Organe beeinträchtigen kann. Warum und wie das mit der männlichen Fruchtbarkeit zusammenhängt, erfährst Du hier.

Welche Auswirkungen hat die SMA auf die männliche Fertilität?

SMA wird durch einen Mangel an SMN-Protein ausgelöst, welcher zum Absterben der Motoneuronen und somit zu einer Verkümmerung der Muskeln führt.1 Doch das SMN-Protein spielt auch in anderen Organen eine wichtige Rolle, beispielsweise in der Leber, den Nieren und im Darm.2 In besonders großen Mengen kommt es in den Hoden vor.Da stellt sich zwangsläufig die Frage: Beeinflusst die SMA die männliche Fruchtbarkeit?

Studien zeigten, dass Männer mit SMA häufiger von Störungen in Bezug auf die Fortpflanzung betroffen sind als Männer ohne SMA. Dazu gehören z. B. ein Hodenhochstand, eine Hodenunterfunktion, Unfruchtbarkeit oder das Fehlen von Spermien im Ejakulat (Azoospermie).3-5

Die Rolle von SMN in der Spermienproduktion

Spermien entstehen in der sogenannten Spermatogenese und entwickeln sich aus Samenstammzellen (Spermatogonien). Durch Zellteilung entstehen daraus zunächst verschiedene Vorläuferzellen der Spermien (primäre und sekundäre Spermatozyten sowie Spermatiden) und schließlich die reifen Spermien.6 

Vor der Pubertät ist das SMN-Protein maßgeblich an der Entwicklung und Funktion der Hoden beteiligt und ist essenziell für die Produktion und das Überleben von Spermien.3,5-8 Doch wie sieht es nach der Pubertät aus, wenn ein eventueller Kinderwunsch besteht? Eine Studie konnte einen Zusammenhang zwischen der Produktion von Spermien und der Menge an vorhandenem SMN-Protein herstellen. Untersucht wurden Männer nach der Pubertät sowohl mit als auch ohne Azoospermie. Bei Männern mit Azoospermie lag eine geringere Menge an SMN-Protein in den Samenstammzellen vor als bei gesunden Männern.6

Noch sind längst nicht alle Zusammenhänge entschlüsselt und es laufen weitere Studien, um genauere Einblicke in das komplexe Thema zu gewinnen. 

Welche Auswirkungen können SMA-Therapien haben?

SMA-Therapien zielen darauf ab, die Menge an SMN-Protein im Körper zu erhöhen – entweder mittels Gentherapie oder über Spleiß-Modifikatoren. Die Auswirkungen der Spleiß-Modifikatoren auf die männliche Fertilität beim Menschen werden zurzeit noch erforscht. Tierstudien mit Affen und Mäusen lieferten allerdings schon erste Ergebnisse.9,10

Präpubertäre Affen, die einen Spleiß-Modifikator erhielten, zeigten keine Veränderungen der Samenstammzellen.10 Bei Affen, die erst nach der Pubertät einen Spleiß-Modifikator erhielten, hatte das Medikament jedoch negative Auswirkung auf die Spermienbildung.Das wirkt zunächst irritierend, weil man erwarten würde, dass mit mehr SMN-Protein in den Hoden eine normalere Spermatogenese möglich sein sollte. Doch Spleiß-Modifikatoren erhöhen auch die Menge an anderen Proteinen und eines davon – FOXM1 – hat eine beeinträchtigende Wirkung auf die Bildung der Spermien.9

Diese Effekte sind im Tierversuch jedoch umkehrbar: Spleiß-Modifikatoren haben also nur eine zeitlich begrenzte Wirkung auf die Spermatogenese und verursachen keine dauerhaften Schäden.9,10 Wie das beim Menschen aussieht, ist zurzeit noch nicht bekannt. Es laufen zwar bereits Studien, aber weitere sind dringend notwendig.5,11

Bei guter Planung ist Kinderkriegen möglich 

Wie stehen also die Chancen, als Mann mit SMA ein Kind zu zeugen? Natürlich gibt es emotionale und psychologische Belastungen: Es stellt sich die Frage, ob die Erkrankung an das Kind weitergeben wird. Doch Fallbeispiele zeigen, dass die Gründung einer Familie mit guter Planung und einem multidisziplinären Ansatz aus Neurologie, genetischer Beratung und Fertilitätsspezialistinnen und -spezialisten durchaus möglich ist.

Bei der Familienplanung muss aber auch berücksichtig werden, dass eventuell gewisse Zeiten zwischen dem Absetzen des Medikaments und der Zeugung des Kindes liegen sollten. Zwar gibt es dazu noch keine Ergebnisse beim Menschen, Tiermodelle deuten aber auf eine notwendige Therapiepause hin. Auch können vor Therapiebeginn Maßnahmen zur Erhaltung der Fruchtbarkeit besprochen werden, wie beispielsweise das Einfrieren von Spermien oder eine künstliche Befruchtung.

Info

Das Thema „Fertilität bei SMA“ ist sehr komplex und noch nicht ausgiebig beim Menschen erforscht. Sprich mit Deinem Behandlungsteam, wenn Du einen Kinderwunsch hast. Gemeinsam könnt Ihr überlegen, ob für Dich eine Therapiepause infrage kommen würde. Deine Ärztin oder Dein Arzt kann Dir auch weitere hilfreiche Informationen rund um das Thema zur Verfügung stellen. 

Du siehst: Mit entsprechender Planung und einem guten Behandlungsteam stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich ein Kinderwunsch erfüllen kann.

Quellenverzeichnis
  1. Wirth B et al. An update of the mutation spectrum of the survival motor neuron gene (SMN1) in autosomal recessive spinal muscular atrophy (SMA). Hum Mutat 2000; 15(3):228–237.
  2. Hamilton G, Gillingwater TH. Spinal muscular atrophy: going beyond the motor neuron. Trends Mol Med 2013; 19:40–50.
  3. Singh NN et al. Spinal muscular atrophy: Broad disease spectrum and sex-specific phenotypes. Biochim Biophys Acta Mol Basis Dis 2021; 1867(4):166063.
  4. Lipnick SL et al. Systemic nature of spinal muscular atrophy revealed by studying insurance claims. PLoS One 2019; 14(3):e0213680.
  5. Bar-Chama N et al. Male Reproduction in Spinal Muscular Atrophy (SMA) and the Potential Impact of Oral Survival of Motor Neuron 2 (SMN2) Pre-mRNA Splicing Modifiers. Neurol Ther 2024; 13:933–947.
  6. Chang WF et al. Effects of Survival Motor Neuron Protein on Germ Cell Development in Mouse and Human. Int J Mol Sci 2021; 22(2):661.
  7. Ottesen EW et al. Severe impairment of male reproductive organ development in a low SMN expressing mouse model of spinal muscular atrophy. Sci Rep 2016; 6:20193.
  8. Chang WF et al. Survival Motor Neuron Protein Participates in Mouse Germ Cell Development and Spermatogonium Maintenance. Int J Mol Sci 2020; 21(3):794.
  9. Mueller L et al. Reproductive findings in male animals exposed to selective survival of motor neuron 2 (SMN2) gene splicing-modifying agents. Reprod Toxicol 2023; 118:108360.
  10. Ratni H et al. Discovery of Risdiplam, a Selective Survival of Motor Neuron-2 ( SMN2) Gene Splicing Modifier for the Treatment of Spinal Muscular Atrophy (SMA). J Med Chem 2018; 61(15):6501‒6517.
  11. Bar Chama N, Assessing the Fertility Status of Men With Spinal Muscular Atrophy (SMA) (https://clinicaltrials.gov/study/NCT06194539?term=NCT06194539&rank=1

Inhaltlich geprüft am 08.10.2024: M-DE-00023596