Die wichtigsten Fragen auf einen Blick

Diagnose SMA – Umgang und Erfahrungen einer Mutter 

Katja, Mutter von ​​​​Yanis, erzählt, wie sie als Familie mit der Diagnose SMA umgegangen sind und berichtet von ihren bisherigen Erfahrungen.

Eine unerwartete Reise

Es gibt eine Geschichte, in der Reisende eine wundervolle Zeit in Italien erwartet und sich auf all die schönen Erlebnisse freuen, die vor ihnen liegen. Doch bei der Landung des Flugzeugs heißt es plötzlich: „Willkommen in Holland“. So lautet auch der Titel dieser Geschichte von Emily Perl Kingsley. Die Reisenden sind zunächst enttäuscht, verwirrt und traurig, denn nichts ist so, wie sie es sich vorgestellt haben. Doch mit der Zeit lernen sie, dass auch Holland seine ganz eigenen Schönheiten hat. Es ist vielleicht anders als erwartet, aber einzigartige Erlebnisse und neue Perspektiven gibt es dennoch zu entdecken. Schließlich beginnen sie, die Besonderheiten ihres Reiseziels zu schätzen und sich an diesem zu erfreuen. 

Im Jahr 2005 kam unser Sohn zur Welt. Wer konnte schon ahnen, was daraus noch alles entstehen würde? Der Junge entwickelte sich gut. Er fing an zu krabbeln und zu brabbeln – er lernte eben das, was man mit ein bis zwei Jahren lernt. Wir hatten uns ausgemalt, wie unser Familienleben wohl verlaufen würde – und dann kamen wir nach Holland. 

Mit der Zeit fielen uns einige Dinge auf. Er hatte eine seltsame Weise zu laufen, sehr staksig und mit überstreckten Beinen und bat zudem andauernd darum, ihm beim Aufstehen vom Boden zu helfen. Natürlich motivierten wir ihn, sich möglichst ohne Hilfe hinzustellen, um die Entwicklung altersgemäß fortzuführen. Beim selbstständigen Aufstehen fiel uns allerdings ein sehr eigenartiges Muster auf. Uns war niemand bekannt, der sonst so aufstand. Etwas vom Boden aufzuheben war für ihn ebenfalls extrem mühsam, obwohl er doch noch so klein und der Boden noch so nah war. Vor Leitern stehend (etwa auf Spielplätzen), schaute er uns mit großen Augen an und bat uns darum, ihn hochzubringen – allein kam er nicht eine einzige Sprosse ​​hoch, ebenso wenig wie Treppenstufen. Um die Treppe runterzukommen, setzte er sich hingegen einfach auf seinen gut gepolsterten Windelhintern und rutschte die Stufen in einem Affenzahn hinunter. 

Die Suche nach der Ursache beginnt

Es begann eine sehr ernüchternde Suche nach der Ursache für seine Bewegungsmuster. Etliche Untersuchungen und Tests später: Nichts ... Dafür jedoch die Erfahrung, dass einigen Ärztinnen und Ärzten Empathie offensichtlich unbekannt ist.  

Mit etwa zweieinhalb Jahren, durch ein einfaches Blutbild, war es dann so weit: Diagnose Spinale Muskelatrophie Typ 3. Ein Arzt, bei dem wir für Voruntersuchungen waren, bot uns ganz unsensibel nach der Diagnosestellung telefonisch seine Unterstützung an. Ich zitiere: „Unseren Sohn zum Tode zu begleiten“, so wie er es bereits vorher bei mehreren Betroffenen getan hat … Was für ein Schock! 

Die Diagnose riss uns den Boden unter den Füßen weg! Wir erlebten ziemlich dunkle Tage, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was SMA genau ist und welche Auswirkungen sie auf das Leben der gesamten Familie sowie das des Umfeldes haben kann. Es wurden – kein Zweifel – zahlreiche Tränen vergossen. Für unsere gerade geborene Tochter sowie für unseren Sohn wollten wir jedoch möglichst schnell eine neue Normalität finden. 

Glücklicherweise fällt heute die lange Diagnosesuche durch das Neugeborenen-Screening in der Regel weg, und Therapien ermöglichen sofortige Interventionen. 

Auf dem Weg in eine neue Normalität

Denn schon bald stellte sich uns – leise, aber deutlich – eine Frage: Ist unsere derzeitige Einstellung wirklich die, die wir auf Dauer für uns und unsere Familie leben möchten? Können wir nicht versuchen, uns so viel wie möglich am Leben zu erfreuen, positive Erinnerungen zu schaffen und so viel es nur geht mit Begeisterung zu erleben? 

Zeitgleich war uns bewusst, dass es nicht einfach werden würde und es viel in die Wege zu leiten galt. Mit neuer Willenskraft kamen wir also in einen anspruchsvollen und trotz allem kräftezehrenden Alltag. Der Austausch mit einer anderen betroffenen Familie war sehr hilfreich, um erste Anlaufstellen, Erfahrungen und Ideen zu erhalten, wie beispielsweise eine Teilnahme am SMA-Symposium der DGM (Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V.). 

Als ehemalige Eventmanagerin hatte ich eine große Leidenschaft für Planung, Struktur und Ordnung. Im Privatleben ließ sich jedoch kaum planen, was in den folgenden Monaten passieren würde oder gar antizipieren, wie sich die Krankheit entwickeln würde. Wir mussten von Tag zu Tag leben, so erfordert es eine fortschreitende Muskelerkrankung wie SMA. 

Unterstützung für andere Betroffene

Die Umstände verlangten viel Flexibilität und Verfügbarkeit von mir, weshalb ich mich dazu entschlossen habe, mir meinen Kindheitstraum zu erfüllen. So habe ich eine Praxis für Psychotherapie eröffnet, in der ich neben der Psychotherapie einen der Schwerpunkte auf Angehörigenberatung ​​​​lege. Dabei ist es mir ein Herzensanliegen, Menschen zu unterstützen, die sich um ihre Angehörigen sorgen und diese in ihrer Erkrankung oder Behinderung begleiten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie essenziell - trotz aller Widrigkeiten - eine positive Lebenseinstellung sowie das eigene Wohlbefinden sind. Auf diese Weise haben wir Angehörige mehr Kraft und Ausgeglichenheit, den anspruchsvollen Alltag mit all seinen Herausforderungen besser zu meistern.  

Es erfüllt mich zutiefst, Menschen auf ihrer individuellen Reise der Entwicklung zu begleiten, ob in meiner Praxis oder überregional über online-Angebote. Es ist eine der schönsten Tätigkeiten, die ich mir vorstellen kann. 

Auch als betroffene Mutter möchte ich ​​Dich zum Abschluss nun fragen: Entspricht Deine derzeitige Einstellung der, die Du für Dich und Deine Familie auf Dauer leben möchtest? Aus Erfahrung kann ich Dir sagen: Es gibt viele Möglichkeiten, sich am Leben zu erfreuen, wertvolle Erinnerungen zu schaffen und Begeisterung für das Leben zu vermitteln. Auch Holland kann wunderschön sein! 

Inhaltlich geprüft am 28.11.2024: M-DE-00024156