Die wichtigsten Fragen auf einen Blick
Im Interview spricht Steffi Vogler über ihr jahrelanges Engagement für SMA-Betroffene. Erfahre im Folgenden, was ihrer Meinung nach schon erreicht wurde, wo noch viel zu tun ist und was ihre ganz persönlichen Highlights ihrer ehrenamtlichen Arbeit waren.
Als mein Enkel ungefähr ein Jahr alt war, wurde bei ihm die Diagnose „Spinale Muskelatrophie“ gestellt. Das ist jetzt ca. neun Jahre her. Nach dem ersten Schock habe ich mich aktiv informiert und wollte mich einbringen – das Ohr an der Forschung haben, damit ich weiß, welche Möglichkeiten es gibt.
Auf diese Weise lernte ich die Gründerin der Initiative SMA kennen, die mich auch mit der Diagnosegruppe SMA der DGM bekannt machte. Dort bin ich gleichdenkenden und -handelnden Menschen begegnet – denn wir alle hatten einen direkten Bezug zu SMA. Ich wurde zunächst Stellvertreterin der Diagnosegruppe und habe dann irgendwann die Leitung übernommen. Die Leitung werde ich nun an die Jüngeren abgeben, aber in der Initiative SMA bin ich nach wie vor engagiert.
Mein Haupttätigkeitsfeld ist die Diagnosegruppe SMA, bei der wir uns das Ziel gesetzt haben, unsere Mitglieder und auch andere Betroffene über Neuigkeiten in der Therapie und Forschung zu informieren. Wir haben festgestellt, dass der Wissensstand der Betroffenen oder der Familien durchaus sehr unterschiedlich ist und es da noch viel zu tun gibt.
Deswegen organisieren wir beispielsweise verschiedene Events, wie den SMA-Stammtisch oder Großveranstaltungen wie das Symposium in Hohenroda mit etwa 200 Teilnehmenden. Dort bieten wir Workshops für unterschiedliche Altersgruppen an und es gibt hochkarätige Vortragende von Universitäten. Dafür arbeiten wir eng mit verschiedenen Pharmafirmen und Krankenkassen zusammen, die uns sponsern.
Aber auch die Zeit zwischen zwei Vorträgen oder Kursen ist wichtig für den Austausch untereinander. Besonders für die Kinder sind diese Veranstaltungen wichtig. Sie erleben dort, dass sie nicht allein sind, dass es auch andere Kinder im Rollstuhl gibt. SMA ist ja immer noch eine seltene Erkrankung und in der KiTa oder der Schule sind sie oft das einzige Kind im Rollstuhl.
Wir bieten betroffenen Familien die Möglichkeit, in einem barrierefreien Haus nahe Freiburg Probe zu wohnen, oder unterstützen bei sozialen Fragen. Auch Flyer kann man bekommen und wir stellen die neuesten Leitfäden für den Standard of Care zur Verfügung. Es gibt wirklich noch viel und immer was zu tun.
Bei der Initiative SMA hingegen ist die Hauptaufgabe das Einwerben von Spenden. Häufig kommen die Gelder über Stammspender und wir verteilen das Geld dann weiter an interessante Projekte. Da arbeiten wir auch mit SMA Europe zusammen.
Das sind eindeutig die Großveranstaltungen. Zu sehen, wie glücklich die Kinder da sind. Da sind wir alle mit Herzblut dabei. Und wir haben so ein Glück, dass es mittlerweile drei Therapien gibt und SMA in das Neugeborenen-Screening mitaufgenommen wurde. Da hat die Initiative SMA, insbesondere Inge Schwersenz, eine ganz wesentliche Rolle bei der Einführung gespielt.
Steffi Vogler ist Großmutter eines Jungen mit SMA Typ 2. Um der bei der Diagnose auftretenden Traurigkeit und Verzweiflung etwas entgegenzusetzen, begann sie, Kontakt aufzunehmen. So entstand eine Verbindung sowohl zur Initiative SMA als auch zur Diagnosegruppe SMA in der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e. V. (DGM), die sie die letzten Jahre geleitet hat.
Mit den drei verfügbaren Therapien und dem Screening hat sich schon viel getan. Aber das ganze Rundum fehlt noch. Es reicht zum Beispiel nicht aus, nur ein Medikament zu verabreichen, gerade wenn man es frühzeitig bekommt. Es gibt durchaus Neuronen, die noch nicht abgestorben sind, die aber nicht mehr voll funktionieren. Da ist intensive Arbeit notwendig: physiotherapeutisch oder elektromuskuläre Stimulation, was in Deutschland ganz stiefmütterlich behandelt wird. Auch Ernährung ist immer wieder ein Thema – besonders bei Betroffenen im Rollstuhl. Die muss gut eingestellt sein, damit kein Unter- oder Übergewicht entsteht.
Auch die bürokratische Last bei der Beantragung von Hilfsmitteln, bei der Einschulung oder Berufsausbildung ist ein wichtiger Punkt. Es ist mittlerweile einfach so, dass SMA-Betroffene älter werden und sich dementsprechend auch neue Themenfelder auftun: sei es die Schule, der Beruf oder auch selbst Eltern werden. So muss bei der Einschulung erstmal eine Schule gefunden werden, die entsprechende bauliche und räumliche Voraussetzungen erfüllt. Denn leider werden Kinder mit SMA häufig nicht so behandelt, wie sie es verdienen. SMA ist ja „nur“ eine neuromuskuläre Erkrankung und geistig sind die Kinder topfit. Aber aufgrund ihres Rollstuhls werden sie nicht entsprechend behandelt. In Schulen für Kinder mit einer Behinderung werden sie nicht genug gefordert und in „normalen“ Schulen sind sie dann die Exoten und kriegen mit, was sie alles nicht können. Hier wäre es so wichtig, dass man sich mehr um die Kinder kümmert – auch oder besonders psychologisch.
Therapien sind erst dann richtig sinnvoll, wenn sie durch entsprechende Hilfsmittel unterstützt werden. Die Massnahmen müssen alle gut ineinandergreifen.
Wir haben einen verbesserten Austausch untereinander erreicht: In unserem Format „Update“ stehen Erwachsene mit SMA anderen Betroffenen Rede und Antwort. Da können Eltern, Kinder und alle anderen Betroffenen Fragen loswerden, die sie sich sonst nicht trauen würden zu stellen. Dort bekommt man Informationen aus erster Hand. Ich denke, gerade für Eltern ist das interessant, wenn sie Fragen stellen können wie: „Wie hast Du Dich gefühlt, als XY passiert ist?“, „Wie machst Du das und was geht nicht?“. Es geht auch manchmal um Intimität und Sex. Das interessiert alle, aber nicht alle trauen sich zu fragen. Das alles läuft natürlich in geschützten Gruppen ab.
Zwei jetzt sehr wichtige Themen sind Psycho- und Physiotherapie. Man hat ein wenig das Gefühl, dass diese begleitenden Maßnahmen in der Euphorie über die medikamentösen Therapien untergegangen sind. Vor den Therapien waren Erfolgserlebnisse selten und da wurde natürlich auch nicht an Begleittherapien gedacht. Und jetzt fehlt die Erfahrung. Denn bloß weil ein Kind mit SMA eine entsprechende Verordnung bekommt, bedeutet das ja nicht, dass sich die psychologischen oder physiologischen Fachkräfte mit dieser Erkrankung auskennen. Es fehlen entsprechende Fortbildungen und aus meiner Sicht ist ein richtiges Umdenken und ein anderes Herangehen notwendig.
Das gleiche gilt für Assistenzkräfte. Die meisten sind Studierende und nur die wenigsten entsprechend in Betreuung und Pflege ausgebildet. Zudem braucht es eine gewisse körperliche Kraft – die Betroffenen müssen gehoben werden können – und auch eine gewisse menschliche Reife, um mit allen Situationen umgehen zu können. So kann es zu Fehlern und Unfällen kommen, aber die Personalsituation ist schwer und die Herausforderungen solcher Lebenssituationen gesellschaftlich noch nicht wirklich anerkannt.
Neben den eben schon genannten wichtigen, notwendigen Verbesserungsoptionen bei den Begleittherapien wie Physio- und Psychotherapie sehe ich einen wichtigen Bedarf bei der gesellschaftlichen Teilhabe. Sowohl in öffentlichen Bereichen wünsche ich mir mehr Akzeptanz als auch im beruflichen Umfeld. Was vielen Arbeitgebenden nicht bewusst ist, ist, dass sie eine Förderung bekommen, wenn sie Menschen mit einer Behinderung einstellen. Da muss man häufig als betroffene Person selbst alles in die Wege leiten. Hier wäre es schön, wenn dieses Thema noch mehr beachtet und besprochen werden würde. Oder auch mehr integrative Spielplätze, auf denen die Kinder nicht nur zum Spielgerät fahren können, sondern es auch tatsächlich benutzen können.
Mit der Diagnose ändert sich das Leben der Eltern komplett. Plötzlich steht man vor einer unerwarteten Aufgabe und trotzdem muss noch arbeiten gegangen werden, damit Geld da ist. Da wäre auch ein wenig mehr Unterstützung gut.
Aber auch auf Forschung und Therapie sollte ein Schwerpunkt liegen. Die Betroffenen träumen nach wie vor von einer Heilung. Dass man den Gendefekt schon bei den übertragenden Eltern beheben kann. Das wäre super, wenn ich das noch miterleben dürfte.
Neben unseren erfolgreichen Großveranstaltungen sind das auf jeden Fall die Einführungen der Medikamente. Als das erste Medikament kam und endlich etwas gegen diese Erkrankung getan werden konnte – das war schon großartig. Und dann kamen die beiden anderen Medikamente und es wird weiter geforscht, um die Therapien zu verbessern.
Generell gab es so viele schöne Momente, da kann ich keinen einzelnen nennen. Die ganzen Begegnungen mit den Betroffenen, mit den fröhlichen Kindern – das macht einfach einen unglaublichen Spaß.
Meine Arbeit bei der Diagnosegruppe SMA war ein richtig befriedigender Job – ein Ehrenamt im wahrsten Sinne des Wortes.
Wir haben schon viel erreicht, um die Situation der Betroffenen zu verbessern. Dazu zählen nicht nur die Medikamente, sondern auch die ganze Vernetzung heutzutage und die Tipps, die wir geben können. Beispielsweise haben wir eine Landkarte erstellt, auf der man barrierefreie Hotels findet. Der Austausch untereinander ist ein großer Erfolg im Vergleich zu meiner Anfangszeit.
Aber es könnte noch besser sein und es könnten noch mehr unserer Angebote wahrgenommen werden. Da würde ich jedem empfehlen, sich selbst im Netz ein bisschen zu informieren, welche Organisationen und Veranstaltungen es gibt und wie der aktuelle Stand der Forschung ist. Denn schließlich geht es um die eigene Gesundheit und die sollte einen selbst interessieren.
Inhaltlich geprüft am 25.11.2024: M-DE-00024206