Die wichtigsten Fragen auf einen Blick
Das Neugeborenen-Screening ist eine Vorsorgeuntersuchung, die Ärzt:innen oder Hebammen für gewöhnlich bei neugeborenen Kindern in einem Alter von 36 bis 72 Stunden durchführen. Dabei entnehmen sie dem Baby etwas Blut – meistens aus der Ferse – und tropfen es auf ein Filterpapier. Die getrocknete Probe wird in ein Labor geschickt und dort unverzüglich mit speziellen Untersuchungsmethoden analysiert.
Das Ziel des Neugeborenen-Screenings ist es, bestimmte schwerwiegende Erkrankungen zu erkennen, bevor erste Symptome auftreten. Zu den getesteten Erkrankungen zählen Stoffwechselkrankheiten, Hormonstörungen und Immundefekte. Sie alle sind therapierbar, würden aber unbehandelt zu schweren, bleibenden körperlichen und geistigen Schäden oder sogar zum Tod führen. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, dass Ärzt:innen diese Erkrankungen rechtzeitig erkennen und Maßnahmen ergreifen, um eventuelle Schäden zu vermeiden oder zumindest zu vermindern.
Die Testung bei neugeborenen Kindern gibt es seit fast 50 Jahren und ist nicht verpflichtend – daher müssen die Eltern dem Neugeborenen-Screening nach einem Aufklärungsgespräch zustimmen, bevor Ärzt:innen oder Hebammen Blut für das Screening abnehmen dürfen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass nur auf bestimmte Erkrankungen getestet wird. Die Kosten für das Screening übernimmt die Krankenkasse.
Das Neugeborenen-Screening entwickelt sich stetig weiter. Beispielsweise wurde das Neugeborenen-Screening erst 2016 um Mukoviszidose (vererbbare Stoffwechselerkrankung, die den gesamten Körper betrifft), 2019 um schwere kombinierte Immundefekte (verschiedene angeborene Immundefekte, bei denen bestimmte Zellen des Immunsystems fehlen oder defekt sind) und 2020 um die Sichelzellanämie (eingeschränkter Sauerstofftransport durch verkrümmte rote Blutplättchen) erweitert.
Seit dem 1. Oktober 2021 ist auch SMA Teil des Neugeborenen-Screenings. Eltern können somit ihre Kinder nach der Geburt auf die seltene erblich bedingte neuromuskuläre Erkrankung testen lassen. Dieser Errungenschaft sind jedoch einige Anstrengungen und Projekte der Patientenorganisation „Initiative SMA“ und der Cystinosestiftung vorausgegangen.
Im August 2018 beantragte die Initiative SMA die Aufnahme von SMA in das bundesweite Neugeborenen-Screening-Programm beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Im Januar 2018 war bereits ein von der Cystinosestiftung initiiertes Pilotprojekt in Bayern und Nordrhein-Westfalen gestartet, in dem Neugeborene kostenlos mithilfe der gleichen Blutprobe, die Ärzt:innen ihnen für das Neugeborenen-Screening entnehmen, auch auf Cystinose und SMA untersucht wurden. Ziel dieses Projektes war es, zu prüfen, ob die Aufnahme der beiden Erkrankungen in das Neugeborenen-Screening empfohlen werden kann.
Nach Auslaufen dieses Pilotprojektes wurde das Neugeborenen-Screening in Bayern und Nordrhein-Westfalen von der Initiative SMA auf Projektbasis mit Hilfe verschiedener Spenden weitergeführt. Im Zeitraum Januar 2018 bis zum Stand Januar 2020 wurden 297.163 Proben untersucht und 43 Neugeborene mit SMA entdeckt.
Der G-BA (der unter anderem festlegt, welche medizinischen Leistungen Versicherte beanspruchen können) hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) beauftragt, auf Basis des Antrags zu prüfen, ob SMA mit in das Neugeborenen-Screening aufgenommen werden sollte.
Die prüfenden Wissenschaftler kamen zu der Entscheidung, dass das Neugeborenen-Screening einen Nutzen für Betroffene mit SMA hat. Denn je früher Ärzte die Erkrankung erkennen und behandeln (am besten Präsymptomatisch – also bevor erste Symptome auftreten), desto stärker profitieren besonders Kinder mit SMA Typ 1 davon. Wichtige motorische Meilensteine wie freies Sitzen und Gehen können Betroffene durch eine rechtzeitige Therapie erreichen.
Auf Grundlage dieser Erkenntnis fasste der G-BA am 17.12.2020 den Beschluss, SMA in das Neugeborenen-Screening mit aufzunehmen.