Die wichtigsten Fragen auf einen Blick
Boris aus dem Face SMA Redaktionsteam stellt sich vor
Wir sind Familie Zottel. Im echten Leben: Samuel, Boris und Tanja.
Als Samuel sieben Monate alt war, erhielten wir seine Diagnose– SMA Typ 1 – von einem Neuropädiater in der Nähe unseres Wohnortes. Entgegen unseren Erwartungen saß im Nebenraum des Besprechungszimmers damals keine Psychologin und kein Psychologe. Niemand, der uns mit diesen Neuigkeiten und den zu treffenden Entscheidungen aufgefangen hätte. Es gab keinen Kontakt zu Beratungsstellen, kaum Informationen. Nur die Ansage, dass wir uns bei einem der behandelnden Zentren vorstellen sollten, auch wenn wenig Hoffnung auf die Teilnahme an einer Studie bestünde.
Einige Tage später liefen wir durch die nächstgrößere Stadt. Wir hatten gerade alle weiteren Termine des PEKiP-Kurses abgesagt, an dem Samuel teilgenommen hatte. Ungefähr auf Höhe des Kinos kam uns ein anderes Paar mit einem Kinderwagen entgegen. Ihre Gesichter waren irgendwie fahl, traurig, deprimiert. Es war ein bisschen wie ein Blick in den Spiegel, denn wir sahen sicher genauso aus. Verkürzte Lebenserwartung, diese Ungewissheit, keine Behandlung, so viele Entscheidungen zu treffen, Termine zu machen, Dinge zu organisieren.
PEKiP: Das Prager Eltern-Kind-Programm ist ein Konzept zur Frühförderung von Babys und soll Eltern und Kind beim Zueinanderfinden unterstützen. Nach dem Motto „Entwicklung erleben, Bewegung anregen, Kompetenz stärken“ begleitet PEKiP Dich und Dein Baby mit Spiel- und Bewegungsanregungen durch das erste Lebensjahr.
Doch dieser imaginäre Spiegel hat etwas mit uns gemacht. Natürlich war für uns in diesem Moment alles anders, alles schlimm. Aber für Samuel? Für dieses, unser, sieben Monate altes Baby? Nichts hatte sich für ihn verändert – abgesehen von den Gesichtern seiner Eltern. Er war noch derselbe wie wenige Tage zuvor. Ein zufriedener Säugling, Nähe suchend, die Welt entdeckend. Er wusste nichts von seiner Diagnose, den Entscheidungen und Folgen. Also beschlossen wir an diesem Tag, es nie wieder zu tun: Nie wieder mit hängenden Köpfen durch die Stadt zu laufen. Nie wieder aufzugeben und sich den schlechten Gefühlen einfach hinzugeben. Wir beschlossen an diesem Tag, das Beste aus allem zu machen, uns ein gutes Leben aufzubauen. Denn wie sagt man? Lachen macht die schöneren Falten.
Wir begannen zu telefonieren, zu schreiben, zu sprechen, zu kämpfen, zu fragen, laut zu sein. Natürlich sind wir zwischenzeitlich fast verzweifelt, haben geweint und geflucht. Doch wenn einer von uns beiden dachte, er könne nicht mehr, musste der andere nur sagen: „Aufstehen! Laufen!“. Unser Mantra. Weitermachen. Nach Regen kommt Sonne. So vieles kann gleichzeitig passieren (und mal ehrlich, zu diesem Zeitpunkt haben wir noch nicht mal erahnen können, WIE viel man gleichzeitig tun und fühlen kann). Auch im Weinen kann man lachen. Sarkasmus kann helfen und die beste Motivation ist das glucksende Lachen unseres Sohnes. Anstatt uns in unserer jeweils eigenen Trauer, Angst und Antriebslosigkeit zu verlieren, haben wir uns für ein Miteinander entschieden. Dafür, miteinander zu sprechen – über alles. In Kontakt zu bleiben, die Flucht nach vorne anzutreten und allen so richtig auf den Keks zu gehen.
Genau das ist wohl auch der Grund, weshalb wir als Familie beschlossen haben, bei Face SMA mitzuwirken. Mitzureden, mitzuentscheiden, uns einzubringen. Vielleicht auch oder gerade, weil es nicht jede oder jeder kann. Wir sind Maschinenbauer und Sozialpädagogin, Muttersprachler, zu zweit, haben keine weiteren Kinder. Was sollen andere Menschen mit (noch) begrenzteren Ressourcen tun? Wir müssen laut sein, Infos sammeln, Erfahrungen teilen, Wissen bündeln, die Lobby für unseren Sohn und für alle Betroffenen und deren Angehörige sein.
Aufstehen! Laufen! Unser Mantra. Weitermachen. Nach Regen kommt Sonne.
Inzwischen haben wir sogar das Gefühl, für eine ganz besondere Gruppe innerhalb der SMA Community einzustehen: Für alle Eltern von Kindern, die wie Samuel schwer betroffen sind, aber bei der Diagnose noch keine medikamentöse Behandlung bekommen konnten. Es ist wirklich irre und wunderbar, dass SMA nun endlich deutschlandweit im Neugeborenen-Screening getestet wird und zeitnah eine Behandlung eingeleitet werden kann, wenn gewünscht.
Aber alle, die diese Optionen vor einigen Jahren noch nicht hatten, dürfen nicht vergessen werden. All die Kinder, die wie Samuel erst später behandelt werden konnten, leben inzwischen in nahezu unerforschtem Gebiet. Das mag hart klingen, aber die Lebenserwartung war ohne medikamentöse Behandlung schlicht eine andere. Niemand weiß, was noch kommen wird. Niemand weiß, was diese Multiorgan-Erkrankung noch für uns, unsere Kinder, Geschwister, Eltern, Onkel, Tanten bereithält. Die Forschung muss weiter gehen und dafür braucht es Gesichter und Geschichten.
Außerdem war es uns ein Anliegen, dass Angehörige neu diagnostizierter SMA-Patientinnen und -Patienten eine Anlaufstelle mit Infos und Kontakten haben, die sie von überall und möglichst niedrigschwellig erreichen können. Eine Plattform, die Basics erklärt, aber auch Geschichten aus dem Leben erzählt. Ein (digitaler) Ort, der Mut macht und Verknüpfungen schafft. Ganz egal ob man sich selbst aktiv einbringen möchte oder kann. Ein sicherer Hafen quasi, dessen Inhalt von Menschen geschrieben und designt wird, die eine ähnliche Geschichte haben wie man selbst. Der zwar inhaltlich richtig ist, aber nicht ebenso medizinisch wie all die Arztgespräche und Krankenhausaufenthalte.
Ein weiterer positiver Aspekt, der uns zu Beginn der Mitarbeit hier sicher noch nicht so bewusst war, ist auch die Vernetzung zwischen Betroffenen, Angehörigen und anderen Personen, die wir an Samuel übergeben können, wenn er älter wird. Sicher möchten wir für ihn auch eine gute Ausbildung, finanzielle Sicherheit usw. Eben alles, was alle Eltern für ihr Kind möchten. Doch wir glauben, dass für ihn ein sehr weitläufiges und groß gespanntes Netz aus Kontakten verschiedenster Art noch viel wichtiger ist. Damit er bei Problemen spezialisierte Anlaufstellen hat. Damit er sich bei Lebensfragen an andere SMArtys wenden kann. Damit er Menschen hat, die seine Lebensrealität kennen, bei denen er sich nicht erklären muss.
Und abschließend, na klar: Für die Mitarbeit werden wir auch bezahlt. Das soll nicht unerwähnt bleiben. Der Transparenz wegen, aber auch weil es ziemlich cool ist, als Experte in eigener Sache etwas dazuverdienen zu können. Denn dass das als pflegendes Elternteil nicht mehr einfach so geht, das wissen wir wohl alle.
Euer Boris
Inhaltlich geprüft am: 10.09.2024: M-DE-00023322