Die wichtigsten Fragen auf einen Blick
Mit SMA in die Schule: Klaus berichtet aus der Vaterperspektive, worauf man achten sollte. Hier erfährst Du mehr!
Vorweggenommen: Es ist schon ein echter Fortschritt, dass Kinder und Jugendliche, die von SMA betroffen sind, nicht mehr automatisch auf eine Sonderschule kommen, sondern eine normale Regelschule besuchen können. Das ermöglicht eine gute Integration, bringt aber natürlich auch viele Herausforderungen mit sich.
Es beginnt schon bei der Wahl der Schule und der (oft noch fehlenden) Erfahrung mit Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern. Manche Schulen zeigten sich hier sehr offen, suchten sogar aktiv nach Beratung durch Sonderschullehrerinnen und -lehrer, um mögliche Hindernisse und Fluchtwege im Brandfall gemeinsam mit uns als Eltern und dem betroffenen Kind durchzugehen und zu bewerten.
Ein sehr gutes Konzept fand ich, in der Grundschule mit einer extra Integrations-Klasse zu beginnen. Hier starteten Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam in das Schulleben. In den ersten zwei Jahren fand der Unterricht zunächst an einer Sonderschule statt, wobei Lehrkräfte der Grund- und Sonderschule sowie geschulte Erzieherinnen und Erzieher gemeinsam die Schüler unterrichteten und mögliche Probleme und Hindernisse bewerteten, um passende Abhilfen zu schaffen. Insbesondere wurde auch stark auf das Miteinander der Schülerinnen und Schüler geachtet. Ab der dritten Klasse ging es dann gemeinsam an eine normale Grundschule. Aus meiner Sicht half das sehr, schon zu Beginn zu schauen, wie eine gute Integration in den Schulalltag ermöglicht werden kann.
An vielen Stellen merkt man aber noch die fehlende Vertrautheit im Umgang mit Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern sowie deren Integration. Gerade der Wechsel an eine weiterführende Schule zeigte hier die fehlende Erfahrung mit Behinderungen. Zwar wurde uns von vielen Schulen versichert, sie seien bestens auf Behinderungen eingestellt. Beim realen Durchgang durch die Schule stellte sich aber heraus, dass zwar Aufzüge vorhanden waren, bestimmte Räume, wie z. B. für die Naturwissenschaften dennoch nur über Treppen erreichbar waren. Wenn man dann nachfragte, wie unsere Tochter am Chemieunterricht teilnehmen könne, kam oft nur ein Achselzucken.
Aus unserer Erfahrung kann ich daher nur allen Betroffenen raten, Schulen im Detail zu besichtigen und Räume für sämtliche mögliche Fächer und deren Erreichbarkeit genau anzuschauen. Zudem gibt es oft Hindernisse, die Außenstehende kaum einschätzen können, die aber doch speziell für das eigene Kind große Erschwernisse bedeuten.
Oft werden auch aus Unkenntnis Blockaden in Gefahrensituationen falsch eingeschätzt. So waren teilweise zwar Räume erreichbar, diese aber mit schweren Brandschutztüren versehen, die unsere Tochter nie hätte öffnen können.
Man merkt an vielen Stellen, dass es sehr vom Engagement sowie der Offenheit und Bereitschaft Einzelner abhängt, ob eine Integration möglich ist und auch gelebt werden kann. Wir erlebten beides: Lehrerinnen und Lehrer, die sogar ihrer Freizeit opferten und als zusätzliche Person mit auf Klassenfahrten fuhren, sodass unsere Tochter dabei sein konnte. Aber auch das Gegenteil kam vor, dass Lehrkräfte unserer Tochter gemeinsame Ausflüge vehement ausreden wollten, obwohl vor Ort überhaupt keine Hindernisse vorhanden waren und es sich trotz deren Bedenken dann als völlig problemlos darstellte. Hier kommt es tatsächlich sehr stark oft auf die Bereitschaft Einzelner an, Wege zu öffnen.
Gerade besondere Veranstaltungen, die oft das Miteinander der Schüler fördern sollen, stellen häufig die größte Herausforderung dar. Während sich der Schulalltag mittlerweile durch die Routine als recht unkompliziert darstellt, bringen z. B. Theater- und Museumsbesuche oder Ausflüge und Klassenfahrten immer wieder Herausforderungen mit sich. Meist ist es das Fehlen einer rechtzeitigen Planung, die dazu führt, dass unsere Tochter dann nicht teilnehmen kann. So wird oft erst ein paar Tage vorher informiert, dass z. B. der Besuch einer Oper geplant ist und erst das Nachfragen durch uns Eltern zeigt, dass am geplanten Termin gar keine passenden Rollstuhlplätze mehr vorhanden sind.
Oder dass bei Klassenfahrten bei der Wahl der Unterkünfte gar nicht auf Barrierefreiheit geachtet wird. Oft kommt man erst, wenn schon alles organisiert und gebucht wurde, mit ins Boot, um dann zu erfahren, dass Zimmer oder Gemeinschaftsräume für unsere Tochter nicht erreichbar wären und sie daher nicht mitfahren kann.
Sehr oft sind es auch bürokratische Hürden und fehlende, aber notwendige Flexibilität, die einer guten Inklusion im Wege stehen. Nach einer schweren OP war unserer Tochter z. B. der Transfer vom Rollstuhl ins Auto zunächst nicht mehr möglich. Es musste also ein Transportdienst organisiert werden, der unsere Tochter mit ihrem Rollstuhl zur Schule bringen konnte.
Es war schon schwierig, überhaupt den passenden Verantwortlichen ausfindig zu machen: Für einen Transport in die Arztpraxis oder zur Physiotherapie ist die Krankenkasse zuständig, für den Transport zur Schule aber der Bezirk Niederbayern. Da diese aber verpflichtet ist, den kostengünstigsten Anbieter zu finden, müssen hier erst entsprechende Anfragen gestellt werden, sodass ein Transport ohne eine Vorlaufzeit von zwei Monaten nicht denkbar sei.
Glücklicherweise erhielten wir nach vielen Anrufen dann dennoch Unterstützung durch die (eigentlich nicht zuständige) Krankenkasse und einen hilfsbereiten und flexiblen Beamten, durch den ein Transportdienst dann doch schon innerhalb einer Woche möglich wurde.
Leider sind aus unserer Erfahrung oft fehlende Flexibilität und die Angst, Verantwortungen zu übernehmen sowie bürokratische Hürden oft keine Seltenheit. Meist lösen sie sich nicht so rasch auf und sind dann mit sehr viel Aufwand verbunden. Aber es gibt auch immer Positiv-Beispiele wie in diesem Fall.
In jedem neuen Schuljahr kommt dann das für uns sehr leidige Thema einer passenden Schulbegleitung. Die stets neue Beantragung mitsamt Begründung hat sich mittlerweile eingespielt. Der abenteuerliche Teil beginnt mit der Suche einer passenden Schulbegleitung.
Vielleicht liegt es an der Vergütung, vielleicht daran, dass man an die Ferien gebunden ist und in diesen oft keine Bezahlung bekommt. Auf alle Fälle ist es jedes Jahr aufs Neue ein Problem, überhaupt Personen zu finden. Man spürt die Unterbesetzung an allen Stellen und damit verbunden ist der große Aufwand, sämtliche möglichen Organisationen durchzu telefonieren, Termine zum Kennenlernen zu vereinbaren und dann zu begründen, wenn man auch mal völlig ungeeignet scheinende Kandidatinnen und Kandidaten ablehnt.
Für die Schulbegleitung selbst ist es dann oft ein sensibler Balanceakt zwischen passender Unterstützung und einem zermürbenden Nichtstun und Abwarten im hinteren Teil des Klassenraums. Ein Job, der zwar oft langweilig ist, weil er hauptsächlich im Tragen der Schultasche besteht. Der aber dennoch, gerade mit Jugendlichen, einiges an Fingerspitzengefühl erfordert. Es bedarf schon einer passenden Einfühlung, wo man Unterstützung anbieten sollte und wo man sich lieber zurückzieht, um die privaten Gespräche und Freundschaften nicht zu stören und nicht als „Aufsicht“ aufzutreten. Hier machten wir schon sehr gute, oft aber auch schlechte Erfahrungen, wenn es so gar nicht harmonierte.
Der Corona-Lockdown war für uns eine sehr positive Erfahrung. Auch wenn man im Nachhinein die Schärfe der Maßnahmen vielleicht infrage stellen kann, waren es doch die fehlende Erfahrung mit einer solchen Pandemie, die entsprechende Unsicherheit und vielleicht auch übertriebene Vorsicht mit sich brachten.
Für sehr viele Jugendliche waren es sicher beklemmende und langweilige Zeiten und auch ich möchte diese Zeit nicht wieder haben. Unsere Tochter blühte jedoch in dieser Zeit richtig auf. Ihre Behinderung nivellierte sich komplett: Plötzlich spielte es keine Rolle mehr, ob man vom Rollstuhl, Bett oder Küchentisch aus am Unterricht teilnahm – Hauptsache, die Hausaufgaben landeten per E-Mail bei der Lehrerin oder beim Lehrer.
Hier muss man auch sehr die große Flexibilität der meisten Lehrer und Behörden loben, wie schnell hier passende Zugänge geschaffen, Geräte organisiert sowie Programme und Verbindungen eingerichtet wurden, sodass es nach kurzer Anlaufzeit zu dennoch guten Lernerfolgen kam. Obwohl nicht jeder das Online-Medium mochte, war es für unsere Tochter aber ein Triumph: Manchmal liegt der wahre Lernerfolg in der Flexibilität – und nicht im Klassenzimmer! Auch wenn ein direkter Live-Unterricht ganz sicher die bessere Alternative ist und bestimmt alle froh waren, als wieder Normalität eintrat. Das direkte Zusammensein fehlte dann auch unserer Tochter. Und ein Miteinander lernt man schwer nur online.
Überhaupt hat der technische Fortschritt inzwischen einiges bewirkt: Während sie zuvor mit schweren Schulbüchern beladen zur Schule fuhr, wurde nun für alle eine Wahlmöglichkeit einer extra Tablet-Klasse geboten. Statt Papierseiten zu wuchten, liest sie nun auf dem Tablet, schreibt, nutzt Worterkennung und reicht Hausaufgaben online ein. Für Menschen mit wenig Muskelkraft ist das ein echter Schreib-Turbo und bringt ihr mehr Selbständigkeit!
Der Schulalltag erweist sich inzwischen größtenteils als recht unkompliziert. Bei unerwarteten Vorkommnissen und besonderen Veranstaltungen zählt aber dennoch das Engagement von Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern – Integration braucht mehr als nur Technik!
Euer Klaus
Inhaltlich geprüft am 02.07.2024: M-DE-00022264